Waldzukunft auf Sächsisch // Leipziger Volkszeitung
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Der Schuh von Gerald Klamer sackt bei jedem Schritt ein we-nig in das tiefe Moos auf dem Waldboden. Es sieht tatsächlich so aus, als würde Klamer auf einen Schwamm treten, der dabei links und rechts etwas Wasser verliert. Auf dem Boden liegen umgestürzte Bäume, kleine Tan-nen, Buchen und Obststräucher bedecken weite Teile des schmalen Weges im Forstbetrieb Eibenstock im Erzgebirge. Ein gemütlicher Weg ist es nicht, doch Gerald Klamer könnte sich keinen besseren vorstellen. „Dem Wald in Deutschland geht es so schlecht wie nie“, erzählt er, während er einen Strauch zur Seite schiebt und darunter hindurch schlüpft, „aber in Wäldern wie diesem sieht man, dass ein Umbau des Waldes möglich ist.“
Gerald Klamer ist 54, hat die letzten 25 Jahre als Förster in Hessen gearbeitet und Naturschutzpläne für Wälder erstellt. Vor ein paar Monaten hat er seinen Job gekündigt und läuft seit Februar quer durch Deutschland, um auf den Zustand des Waldes aufmerksam zu machen. Für sein Projekt „Waldbegeisterung“ wandert er 6000 Kilometer und trifft sich entlang des Weges mit Forstbetrieben, Umweltprojekten und Bürgerinitiativen. Gerade ist er in Sachsen. „Es gibt deutschlandweit bereits viele Ansätze, unseren Wald nachhaltig zu bewirtschaften und für den Klimawandel zu wappnen, wir müssen es nur konsequenter umsetzen“, sagt Klamer. Im Forstbetrieb Eibenstock in Sachsen kann man sehen, wie eine solche Umsetzung aussehen könnte.
Das liegt auch an der Arbeit von Forstbezirksleiter Stephan Schusser, der bereits vor über 30 Jahren begonnen hat, den Wald umzubauen. Weg von der Monokultur Fichte, zurück zu einem Mischwald. „Das Ziel des Umbaus ist ein sogenannter Dauer-wald. Das bedeutet, dass verschiedene heimische Baumarten in unterschiedlichen Wuchshöhen vorkommen“, erzählt Schusser während er Gerald Klamer einen Abschnitt des Waldes zeigt, in dem im Unterholz bereits kleine Tannen und Buchen zwischen dem Fichtenbestand wachsen. Außerdem ist eine Förderung von Mooren und Standgewässern, sowie das Liegenlassen von Totholz essentiell für einen gesunden Wald. Dieser kann im Umkehr-schluss mehr Wasser speichern und so als Hochwasserschutz dienen, aber auch mit den ansteigen-den Temperaturen des Klimawandels besser umgehen. „In Sachsen hatten wir Glück mit der Politik, die den Umbau der Wälder immer gefördert hat. Jetzt können wir Vorbild für andere Betriebe sein.“ Die Widerstände gegen seine Wald-Umbau-Pläne waren Schusser egal: „Ich habe viele Exkursionen in andere Länder gemacht, um zu lernen. Ich wusste, dass wir sofort aktiv werden müssen. Jetzt zeigt die Natur, dass meine Ansätze nicht falsch waren“, erzählt er, während er neben einem der 268 Amphibientümpel steht, die im letzten Jahr im Forstbezirk Eibenstock angelegt worden sind. Natürlich bedeutet ein Waldumbau zunächst Investition – auf lange Sicht erhält sich ein Dauerwald jedoch von selbst und ist weniger anfällig für Wind- oder Schädlingsbefall. Das ist gut für die Natur und die Forstwirtschaft.
Anfang Juni tagte in Deutschland der nationale Waldgipfel. Wie sieht der Wald der Zukunft aus, Gerald Klamer? „Eigentlich haben wir in Deutschland einen Buchenmischwald. Die alten Buchen sind unser Schatz in Deutschland”, sagt Klamer. “Sie sind ein Erbe, das wir nutzen können, aber mit Vorsicht. Im momentanen Zustand des Waldes sollten wir so wenig alte Buchen fällen wie möglich.“ Außerdem fordert Klamer, den heimischen Baumarten mehr zu vertrauen: „Viele Förster und Försterinnen wollen Bäume aus anderen Klimazonen einführen. Damit können wir experimentieren, aber nur im kleinen Stil und unter wissenschaftlicher Aufsicht.“
Schusser und Klamer stehen in einem bereits vollständig umgebauten Teil des Forstbezirks Eibenstock. Durch die Baumkro-nen scheint die Sonne auf das Totholz am Waldboden, das hier Millionen von Insekten einen Lebensraum bietet. Die beiden Männer bewundern den dicken Stamm einer Eiche. Wenn die alten Bäume sterben, steht die nächste Generation bereit – so wie es in einem gesunden Mischwald sein sollte.
Nach seinem Besuch in Eibenstock läuft Gerald Klamer weiter durchs Erzgebirge, er hat noch über 2000 Kilometer vor sich, bis er im November zurück in Marburg ist. Nachts rollt er seine Iso-matte an seinem Lieblingsort auf – irgendwo mitten im Wald.